Samstag, 29. Mai 2010

Szene 1 - Angst I

Blaues Licht leuchtet die leere Bühne aus.

Ai betritt die Bühne. Er trägt eine Schweinsmaske.

In karikierten soldatischen Schritten stapft er über die Bühne, lacht hölzern und macht ungelenke Pantomime (Geburt, Liebe, Angst, Hass, Sex, Tod, Spiel). Seine Bewegungen sind mechanisch, roboterhaft, aber dennoch auch tänzerisch: eine dancing war-machine.

Dazu wird das Lied „I Robot“ von Alan Parsons Projekt eingespielt.

Sobald das Lied vorbei ist, geht Ai von der Bühne, kommt dann ohne Maske zurück, platziert sieben Plüschschweine, einen Kasten Bier, eine Schachtel Zigaretten und eine Zeitung in die Mitte der Bühne. Die Plüschschweine stellt er im Kreis um den Bierkasten auf. Ai öffnet ein Bier und zündet sich eine Zigarette an.

Ai läuft am Anfang der Szene sehr nervös umher, wird im Verlauf der Szene ruhiger, gelähmter, bis er gegen Ende der Szene in den katatonischen Stillstand einer heldenhaften Pose verfällt.

Während der Szene muss Ai immer dringender pinkeln, aber er versucht es zu halten, verschiebt es. Erst am Ende der Szene – er in völligem Stillstand – bricht er unter Schmerzen zusammen und sieht zu, dass er schleunigst auf allen Vieren von der Bühne kommt.

In unregelmäßigen Abständen greift er nach der Zeitung, um damit imaginäre Insekten zu verjagen oder tot zu schlagen.

Ai nimmt die Plüschschweine als Ansprechobjekte und sieht in ihnen jeweils die imaginierte Person.

Ai:

Nichts trifft es.

Nichts hat es je getroffen.

Stets daneben, stets vorbei,

stets wie nicht gewesen.

Und doch.

Immerzu gefangen. Immerzu nicht frei,

immerzu gekämpft,

permanent belagert, permanent umgeben,

permanent in der Deckung.

Ich rutschte,

stets, immerzu und permanent,

ich rutsche, rutsche,

rutsche

einen Abhang hinab

je mehr ich hinauf wollte

oben hin wollte

u. griff

stets, immerzu und permanent,

ich greife, greife,

greife

nach euch,

nach dem Leben,

nach mir

nach irgendetwas

wenigstens irgendwas

ein bisschen was

doch ich griff es nicht

ich greife es nicht

ich begreife es nicht

ich begreife das nicht.

Noch jetzt,

hier,

in dieser Vorhölle,

in dem Gewölbe der Leichen und Halbtoten,

der Zombies und Widergänger,

in dieser Fabrik der Übriggebliebenen,

derer, die nicht weg können, die nur

umgeschichtet werden können,

von hier nach da,

von unten nach oben,

von oben nach unten,

von einem Eck ins andere

u. immer im Weg,

nie wirklich aus den Füßen,

nie angenommen, in den Arm genommen

und gehen gelassen

immer in der Warteschlange

immer bei dem Rest, der nicht mehr hinein darf

oder heraus

selbst jetzt noch

hier

dort liegt Teu, das treue Seeleding,

im Eck steht u. kichert High-Tek,

das zugedröhnte Hüllending einer Sklavenexistenz

mit Prinzessinnenpotential

Ody,

mein Gegen-Ding,

Ody gibt nicht existenten Reportern Interviews

Ody wurde verrückt,

gegendingverrückt,

Ody war schon immer verrückt

und auf der Treppe kriecht Chill-Out,

das ewige-Morgen-Ding,

das Nie-zuende-Ding,

seit ich ihn erschlagen habe,

ich hab ihn doch erschlagen,

ich hab sie alle erschlagen,

seit diesem Tag hat er kein Auge mehr zugemacht

hat niemand mehr ein Auge zugemacht

sie starren mit nachtblinden Augen in die Nächte ihrer Leben

Durch die Wände höre ich die Fähnchen-im-Wind-Dinger, Enemene u. Aga, die Memme, heulen,

sie schreien Tag u. Nacht

u. haben doch den Unterschied zwischen Tag u. Nacht vergessen

sie spüren im Nacken den Wind,

in dem sie je u. je geknickt wurden wie lebensuntüchtige Bäume,

sie hielten es für Schläue,

weit gebracht haben sie es mit ihren Lebenstricks,

jetzt geben sie einander fließend Wasser

u. wischen einander unentwegt die Erbärmlichkeit aus den Augen.

Über allen

in ihrer gewitterhimmlichen Hängematte

wackelt Tinchen, das göttliche Ding,

ihre Anweisungen interessieren keinen mehr,

sie spricht in göttlicher Einsamkeit

in der Stille derjenigen,

die mit ihren Forderungen alles in die Stummheit schrie,

in die Geräuschlosigkeit klagte,

in die Mucksmäuschenstille kritisierte.

Keine Zähne haben sie mehr,

aber dennoch schnappen ihre Mäuler

in purer Tötungsabsicht

nach jeder klitzekleinen Regung,

nageln ihre stumpfen Augen

jedes Zucken als Trophäe

lebendig an die Wand.

Also zucke nicht.

Also rege dich nicht.

Also zeige sie nicht,

sage ich mir,

zeige nicht deine Gier,

sage ich mir,

die Lippen zittern nicht,

die Zunge aalt sich nicht mehr im Schrei

dieser Gier,

meine Glieder holen sich,

gestachelt von dieser Gier,

einander keinen mehr runter,

sie tanzen nicht mehr im Krieg der Leiber,

u. doch ist sie noch da,

die Gier,

meine Gier,

meine Gier nach Liebe ist so groß wie die der Ozeane nach jeglicher Süße. Und wie die Gier dieser Meere alle Wasser salzig werden lässt, so ließ auch mein gieriges Blut alles Leben bitter werden, weil ich es verschlingen wollte,

statt darin zu baden.

Jetzt badet sie in mir.

Wie ein kleines Kind,

das nie zu Welt kam,

meine toten Kinder,

die sterben durften

ehe sie leben mussten

so wie wir

wie wir hier

meine kleinen gierigen Todeskinder,

ich setze mich hin,

alt bin ich geworden,

aber dann streiche ich mit der Hand über meinen Bauch

u. spüre meine toten Kinder in mir,

meine Kindergier, meine todgierigen Babys

u. fühle die Lust in den Augen

in den Mundwinkeln

ihnen Fressen zu besorgen,

ihnen diese ganze Scheiße hier

zum Fraß vor zu werfen,

dass sie quiekten wie Ferkel, die sich in die Mutterbrust

verbissen haben, um sich zurück in ihren Leib hinein zu fressen,

zurück in die warme Dunkelheit ihres Unterleibs.

Ich war

stets in der Hoffnung

der erste Stein meines Lebensdominos

wäre endlich gefallen

u. es wäre eins nach dem anderen

der unendlichen Reihe umgefallen

jeder dieser Dominosoldatenposten

sei gefallen

als gewaltiges Schauspiel

u. ich hätte rufen schreien brüllen lachen können

ätschbätsch, du

ätschbätsch, ihr

ätschbätsch, ich

aber da ist nichts gefallen

so sehr ich auch alles umstieß

alles umhaute

sinnlos um mich schlug

High-Tek

das Huren-Ding

war sie es

ist sie es gewesen

war sie die Frau

der Unterleib, der mit Dunkelheit stillt

war sie es gewesen

bist du es

High-Tek

du von Schmeißfliegen umflogenes Kadaverding

du halbtotes Dingsbums

mein Liebesbumsdings

Gott

High-Tek

wo bringen sie dich nur hin

sie bringen dich fort von mir

High-Tek

lass sie es nicht merken,

aber ich folge dir

du Liebsdingsbums

du Liebes-dings

du liebes Ding

du Liebe

wie schienest du

wie schienest du nur so hell

viel zu hell

du stilltest nicht

du machtest hungrig

ich verhungerte an dir

die Verschlingungsgier wuchs u. wuchs

du sagtest,

ich bin doch da,

aber wo warst du,

als ich schrie

als es schrie in mir

als es nach der Dunkelheit schrie in mir

nach der Wärme

wo warst du

als du vor mir knietest u. sagtest

komm zu mir

u. nicht merktest,

dass ich gehen musste

dass ich es erledigen musste

dass ich raus musste

dass ich töten musste

dass meine toten Kinder in mir

dass die Frucht meines Leibes

Nahrung brauchte

Fresschen brauchte

wie ich dich als Fresschen gebraucht hätte

wie ich dich hätte durchwühlen sollen

meine Zähne in dich hätte schlagen sollen

wie der Schakal ins Aas

du Aasding

du gekauftes Ding

du Trophäe

du Menetekel einer vergangenen Lust

u. doch

alle sind sie hier

du Zeichen dafür

dass ich nichts richtig tat

du Mahnmal meines nicht gestillten Hungers

du Blume auf dem Misthaufen meines Lebens

rieche ich dich

rieche ich die Scheiße, die ich bin.

Trophäe,

warum kamst du nicht aus freien Stücken?

Du liebtest mich nicht.

Du schmeicheltest mir,

knietest vor mir

u. nahmst mich in dein verlogenes Maul,

nur um mich einzulullen,

nur um den Moment der Flucht zu finden,

du ekelst mich an

in deiner Falschheit,

du Ding

du Nichts

du Beweis meiner eigenen Dinghaftigkeit,

meiner eigenen Nichtigkeit.

In Gedanken ficktest du Chill-Out,

das Geldscheißerding,

oder Ody,

dieses Angeberding,

tagsüber lagst du bei ihnen

u. lecktest ihren Arsch sauber

ich weiß es

ich weiß es

nie werde ich dich alleine

lassen

ewig wirst du es mir büßen

ich werde dir hier die Hölle auf Erden besorgen

das ist mein Werk

mein Werk,

diese dicken Mauern,

hier habe ich sie alle in meiner Gewalt

hier habe ich euch alle in meiner Gewalt

ihr von Schmeißfliegen umflogenen Arschlöcher

jetzt könnt ihr euch die Löcher von den Drecksviechern lecken lassen

Scheißviecher

ich hasse sie

hasse sie alle

aber

dennoch

trotzdem

hier bin ich sicher

keine fremden Gespenster mehr

ich kenne euch jetzt

ich weiß jetzt, wer ihr seid

ich sehe euch genau

ganz genau.

Jetzt ist alles gut.

Ein Leben lang wartete ich

u. wartete

u. realisierte nicht

dass ich drängelte

auf der Stelle drängelte

mit niemandem als mir selbst

auf der Stelle

auf die Plätze, fertig, los

ich bin schon da

Jetzt bin ich da

ein zufriedener Alter

in seinem Elysium

im Werk seines Lebens.

Ein Leben lang strebte ich

nach enthemmter Lässigkeit,

jetzt weiß ich,

lässige Hemmung ist die Lösung,

ihr seht meine Regungen nicht,

aber ich habe euch im Blick,

ihr seid mein,

mein Werk,

hier,

ihr,

das trifft es jetzt doch,

jetzt habe ich euch doch,

ganz bei mir.

Ins Schwarze.

Hurra.

Belohnung.

Jetzt.

Hopp.

Bitte.

Kuss.

Wein.

Gesang.

Bitte.

Ich weine nicht.

Ich habe keine Angst.

Seht ihr,

ich flüchte nicht.

(erstarrt in Heldenpose)

Das trifft es doch. Endlich trifft es mich,

mich, Ai, Sohn des Telquel,

des Vaterdings,

des Dingsvaters.

Meine Orden waren seine Seele.

Wow.

(bricht zusammen)

Das trifft es nicht.

(kriecht von der Bühne)

(Pissgeräusch)

Licht aus.

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