Samstag, 29. Mai 2010

Szene 4 - Angst II

Bühne wie zuvor. Blaues Licht.

Ai:

sie sagt,

ich soll es tun,

sie sagt,

bring sie alle um

sie sagt,

das ist die Vergeltung,

sie sagt,

so kann es geschehen

einst ging ich am Strand

u. wollte in der See versinken

wollte eins sein mit dem Blau

wollte mich ausdehnen wie die Flut

u. zusammenziehen können wie die Ebbe

wollte an der Welt lecken wie die Wellen

u. wollte Leben in mir bergen wie die Ozeane

da kam sie

u. schüttelte ihre schwarzen Locken

u. ich sah

die Narbe an ihrem Bauch

diesen Riss im Fleisch

diese Wunde einer Vergangenheit

dieses Zeichen einer vergessenen Erinnerung

meiner Erinnerung

ein zugenähtes Loch in meiner Vorstellung

eine Verletzung, an deren Rändern die Schmerzen

meines Lebens zu Hause waren

u. sadistische Urständ feierten

meine Göttin

meine Zeugerin

meine Bezeugerin

der kimmerische Beweis meiner elysischen Existenz

ich war ihr Engel

ihr ein

ihr alles

ihr Held

u. ihr Geliebter

mir flüsterte sie zu

du wirst Kriege gewinnen

u. Kämpfe bestehen

du wirst mit Auszeichnungen geehrt werden

wirst Spuren hinterlassen

die direkt zu mir führen

du wirst meine Erfüllung sein

sagte sie

dort am Strand

dort im Zeichen ihrer Narbe

im Rauschen der See

unter den Schreien der Möwen

sie nahm meinen Kopf u. reinigte meine Augen

mit Vogelkot

sie nahm meine Brust u. wusch sie mit Feuerquallen

sie nahm meine Arme u. Beine u. durchstieß sie mit Seeigeln

mit Austernschalen schrieb sie mir ihren Namen auf den Rücken

u. lachte

u. weinte

u. sagte

dass sie durch mich lebe

dass ich ihr Leben spenden müsse

indem ich dasjenige der anderen nehmen solle

sie lachte

sie weinte

u. sie schluckte die Austernschalen

u. Muschelschalen

u. sie trank das Gift getrockneter Rochen

u. schnürte ihre Kehle mit den Tentakeln riesiger Kraken zu

sie sagte

ich bin deine Medusa

deine Medea

deine Schaumgeborene

deine Kopfgeburt

deine auferstandene Vorhaut

du bist der Riss in meinem Hymen

u. du bist die Ausgeburt meines Fruchtwassers

du wurdest gezeugt, als der Kosmos mich vergewaltigte

mir seine glühenden Sterne in die Fotze schoss

du bist mein Kind

sagte sie

ich bin dein Gott

u. du bist mein Mensch

Sie legte sich auf den Boden u. grub die Hände in die Erde

sie kratzte Furchen, sie grub Höhlen mit ihren Nägeln ins Felsgestein

ihr Blut zeichnete den Sonnuntergang in den Horizont

ich wollte tun was sie sagte

ich weinte u. lachte u. wusste, ich werde gehen

ich war von nun an frei

diese Göttin

dieses göttliche Ding

dieses lächerliche Ding

Tinchen

meine Göttin

hatte mich befreit

als sie mich aus dem Nichts erlöste

u. mir Form gab

die Form eines Kämpfers

eines Helden

eines Menschen, der kann, was sie nicht kann

was sie nie konnte

ach

sie hatte es versucht

u. trägt nun die Narbe davon

sie sagte,

sie wolle leben

sie wolle sterben

identisch sei das

sie sagte

sie wolle lieben

sie wolle auslöschen

auch das sei identisch

ein ein

ein alles

hier komme Staub zu Staub

u. Asche zu Asche

hier steige Phönix auf

hier wachse des Prometheus Leber nach

ich sei dies alles

u. ich sei dies eins

mir gebühre die Welt

u. mir gebührten die Auszeichnungen der Welt

mir gehöre das Leben

u. mir gehöre der Tod

ich sehe sie

sie steht auf dem Felsen

u. springt in die Tiefe

u. der Stein färbt sich rot

u. die Narbe leuchtet in der Sonne

u. die Erde glüht wie tausend Sterne von ihrem Schmerz

sie sagt

geh

sie sagt

hau ab

sie sagt

bleib

sie sagt

wenn du gehst, sterbe ich

sie sagt,

wenn du bleibst, vergehe ich

sie sagt,

ich sei ein Nichts

sie fragt

ob ich ihr nicht endlich das Leben nehmen wolle

wann ich ihr endlich den Schmerz aus dem falschen Fleisch zöge

ich sei wie ein Kaktus mit giftigen Stacheln in ihrer Fotze

sie sagt

ich sei ein Speer in ihrem Arsch

der ihre Gedärme zerschlitzt

u. ihr das Herz zerstochen habe

die Lunge perforiert

sie sagt

ich sei so dumm wie der Scheißsand an diesem Scheißstrand

sie sagt

ich sei so hohl wie diese Scheißhöhlen in diesem Scheißfelsen

sie sagt

ich sei zu blöd zum Leben

sie sagt

deshalb wirst du sie töten

deshalb wirst du dich töten

sie sagt

ich solle nicht so erbärmlich weinen

so fuckingbeschissenerbärmlich heulen

hier an diesem gottverlassenen Strand

an diesem gottbeschissenen Strand ihrer gottbeschissenen Einsamkeit

sie sagt

ich solle mich trollen

ihr aus den Augen

aus dem Sinn

gehen

endlich gehen

sie sagt

sie nagle mich an den Felsen u. fresse mir Stück für Stück den Schwanz weg

die Eier weg

sie sauge mir die Därme aus dem Arschloch

sie brenne mir mit ihrem Blick die Brustwarzen in die Lunge

alles sei Schmerz

u. ich sei die Manifestation dieses Schmerzes

sie sagt

nie habe sie mich in ihrem Leib getragen

nie habe sie mich auch nur gekannt

nie hätte ich sie gekannt

wir seien Fremde

uns Unbekannte

was mir einfalle

sie habe nichts gesagt

sie habe geschwiegen

das sei so ein Menschen-Ding

immer wollten wir die Götter sprechen hören

immer sollten wir von Göttern gezeugt sein

sie habe noch nie auch nur einen einzigen Menschen gezeugt

wir seien die Insektenplage der Götter

wir fräßen mit unserer Gier die göttlichen Gärten u. Plantagen leer

wir ätzten mit unseren Worten die Haut der Götter

sie wisse keinen mehr ohne Geschwür

ohne die Krätze

sie wisse nicht

welcher Teufel uns ihnen angehängt habe

aber

nur wegen dieser Krankheit, die wir seien

müsse sie tagtäglich an diesem beschissenen Strand sein

in der beschissenen Nähe zu diesem beschissenen Wasser leben

mit diesem beschissenen Salz in der Luft

es rieche nach Menschenschweiß

sie ekle sich

wir seien schuld

ich sei schuld

sagt sie

sagt dieses Tinchen

derentwegen ich hier bin

ich Trottel

ich Idiot

ich Depp

ihr Gerede

ihr Sagen

zum Kotzen

Jeder hat seine eigene

seine ihm eigentümliche Litanei darüber,

was er in seinem beschissenen kleinen Leben ändern möchte,

was er aber in seinem beschissenen kleinen Leben nie ändern wird,

wir hören uns diese beschissenen Litaneien an

u. nehmen sie nicht ernst

wir lachen unser beschissenes Grinsen dazu

u. nicken unser beschissenes Nicken dazu

u. sagen unser beschissenes Aha dazu

aber wir nehmen es verdammt noch mal nicht ernst

im Kopf unsere eigene beschissene Litanei

über unser eigenes beschissenes Leben

manchmal lachen wir unser beschissenes Lachen darüber

manchmal schreien wir unsere beschissenen Schreie deswegen

u. hören doch schon lange diese unsere beschissene Litanei nicht

die da so beschissen lacht u. so beschissen schreit

während wir so beschissen nicken

u. so beschissen lachen

u. so beschissen aha sagen

aha

das ist ja das Angenehme an ihr

sie verletzt nicht wirklich

die Kleine

das göttliche Ding

mein Tinchen

mein Tinchen-Ding

meine Gebieterin, Befehlerin, In-den-Krieg-Schickerin

mein Hass-Ding

mein Liebes-Ding

meine Mama

mein Papa

mein Ich

mein Du

mein Dein

mein Mein

mein ja

mein nein

sie kann nicht wahrhaftig gefährlich werden

ach ja

aha

(lacht)

(weint)

(nickt)

(schüttelt den Kopf)

(schreit)

sie kratzt u. beißt

ein angenehmes Knuffen u. Beißen

wie bei jungen Hunden

die sich erproben

hier erprobt sich aber nichts mehr

es wiederholt sich nur

ein andauerndes Peeling

eine permanente Durchblutungsanregung

zumeist angenehm

manchmal tut es auch weh

gut, das kann vorkommen

aber in der Regel

normalerweise

bei Einhaltung der Zeiten

geschieht nichts Schlimmes

sie verhindert es dadurch,

dass man ihr nicht nahe kommen kann

dass es nicht zu tief wird

es wird nicht tief

geht nicht ans Fundament der Gefühle

Peeling

durchaus unter die Haut gehend

mehr nicht

man darf sich nicht täuschen lassen

vom Instrumentarium ihrer Behandlung

vom Ansatz ihrer Worte u. Gesten

von den Formeln ihrer angeblichen Absichten

der launische Masseur kennt höchstens die Intimität der Verachtung

u. auch die nur aus einer Überdrüssigkeit heraus

ansonsten bleibt es: Fortgang, Fortsetzung, Nicht-Aufhören-Können, Routine, Fressen-und-Scheißen, Scheißen-und-Fressen

wir versuchen uns das Leben einzumassieren

aus Angst

es könne schon vorbei gegangen sein

aha

ach ja

damals am Strand

der Geburtsstunde meines Krieges

wer war die Vettel?

Wer war die Kuh?

Eine dahergelaufene Irre.

Ein magersüchtiges Gestell.

Man roch noch ihr Erbrochenes.

Man roch die Scheiße an ihrem Arsch.

Man roch den Gestank ihrer Fotze

die Fäulnis ihres Maules.

Ich rieche das alles noch jetzt.

Tinchen.

Tinchen-Ding.

Göttliches Ding.

Ich kann dich riechen.

Du bist nicht weit.

Du bist bei mir.

Nicht wahr.

Bei mir.

Ich bin nicht allein.

(Stille)

Du bist da.

Da bist du.

Ich werde es ihnen zeigen.

Ich werde sie zerfleischen.

Ich werde ihnen die Ärsche aufreißen.

Du bist ja da.

Da bist du ja.

Ich rieche dich.

Den Geruch des Kampfes.

Den Ruch des Sieges u. der Vergeltung.

Den Rausch der Rache.

Was haben sie dir angetan?

Was haben sie uns angetan?

Was haben sie mir nur angetan?

Schweinebande.

Drecksschweine.

Kriegsschweine

(aus dem OFF „War Pigs“ von Black Sabbath.

Ai tanzt wild über die Bühne)

Ja.

Ja.

JaJaJaJa.

Aaaah.

Ja.

JaJa.

JaJaJaJa.

Du bist da.

(ornaniert)

Da bist du.

Da.

DaDaDa.

DaDaDa.

Aah.

Aaaaah.

Aaaaaaaaah.

(kommt)

Nein.

War es so?

Trifft es das?

Ja?

Nein!

Nein?

Ja?

(wischt sich das Sperma aus den Händen)

Scheiße,

hier ist keine Sau,

kein Schwein da.

Wo ist sie?

Wo sind sie?

Scheiße.

So allein.

So ängstlich.

Ja.

Scheiße.

Tinchen?

Tinchen?

Ich werde es tun.

Ihr werdet es sehen.

Du wirst es sehen.

Nein?

Ja!

Die dumme Sau.

Du dumme Sau!

Hättest du nicht ein Mensch sein können?

So mit Fleisch u. Blut

u. ein bisschen Wärme,

einem bisschen Wärme,

einer klitzekleinen Berührung nur,

nur einer einzigen,

einmal,

wäre das nicht im Bereich des Möglichen gewesen?

Einmal nur.

Aber nein.

Fuck.

Muss ich es mir selber machen.

Immerzu

selber machen.

Immerzu und immerzu.

Ich arme Sau.

Ich einsames Schwein.

Quiek

Quiek.

Nie war ich am Strand.

Nie am Meer.

Immer nur hier.

In meinem Stall.

Immer nur darauf gewartet, bis sie mich hohlen.

Abstechen.

Auffressen.

Immer nur

grunz

grunz.

Immer nur

Quiek

Quiek.

Immer nur der finale Countdown.

Der finale Grunz-Countdown.

(Ai läuft wir ein Schwein über die Bühne.

Dazu läuft „The final countdown“ von Europe)

Sie ist nicht da.

Licht aus

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