Samstag, 29. Mai 2010

Szene 3 - Liebe

Bühne wie zuvor, allerdings nun mit rotem Licht ausgeleuchtet.

Ai:

Hab’s nicht getan.

Ich habe es nicht getan.

Bin weg.

Ich bin jetzt weg.

Ich, Ai, des Telquel Sohn, bin fort, endlich fort.

Ichor wird durch meine Adern fließen

u. unter meiner Haut

hinter meiner Stirn

in den Äderchen meiner Augen

in den Nervenbahnen meines Hirns.

Alles Fleisch um die Knochen wird Ekstase sein.

Ich bin nicht mehr hier,

ich laufe über die Prärien der Pueblo-Indianer,

durch die Dschungel des Amazonas

u. die Straßen Valparaisos

liege an den Stränden Trinidad & Tobagos

sitze im Schatten der Bäume Alma Aters

u. höre die Erzählungen der Menschen auf Kamtschatka

die Wolga reise ich abwärts

u. den Jenissei hinauf

ich wandele unter Palmen

u. ficke unter dem Blütenfall des Meeres

hinten weit in der Türkei

wo jeder mich für seinesgleichen halten wird

ich betreibe Potlatch mit meiner Seele

u. Ausverkauf meines Geschlechtes

ich schneide mir Masken aus der Visage

tausende von Völkern in Afrika tanzen damit ihre Rituale

ich küsse die Ärsche der Frauen in Avignon

u. weine mit den Witwen in allen Kriegsgebieten der Welt

ich verkaufe die Schwänze der Söldner als Spielzeug an die Kinder

der von ihnen abgeschlachteten Männer u. Frauen

damit ihr Hass ewig jung u. frisch bleibe

u. dann bin ich wieder weg

bin weg

hab’s nicht getan

ich habe es nicht getan

der Berg ist zufrieden erst

wenn er vom Wind, vom Wasser und von den Fußtritten

zu feinstem Sand zermahlen wurde

der Wurm erst, wenn er sich durch diesen Sand

von einem Ende bis ans andere der Welt gefressen hat,

u. der Fisch in der See erst,

wenn er diesen Wurm fressen konnte

u. glücklich an der Angel hängt,

die ihr Besitzer seiner Frau über den Schädel schlagen wird,

damit er spürt,

dass er sie geliebt hat,

doch die Liebe wurde zu Stein

u. wurde zu einem Berg der Gefühllosigkeit,

der seine eigene Existenz verflucht.

Ich bin nicht hier.

Ich habe es nicht getan.

Seht,

ich sitze nicht hier,

ich sitze auf dem Boden vor den Statuen von Angkor Wat,

vor den roten Mauern u. vor den Bergen von Leichen,

den abgestochenen Touristen

u. den zerstückelten Geschichtslehrerinnen

vor den erhängten Abenteuertouristenführern

u. vor den Strömen des Blutes der Einsamen,

die sich hier die Adern aufgeschnitten haben

was sind schon ein paar Tote mehr in diesem Land

hier sitze ich u. habe den Laptop als eine Reliquie

auf meinen Knien u. hinter mir stehen Pol Pot und König Sihanouk

im Harlekingewand mit drei Beinen

clowneske siamesische Zwillinge

die hüpfen u. lachen u. ihre letzten Kugeln in die Leichen ballern

u. sie streichen mir übers Haar u. sie schauen mir über die Schulter

u. sie springen um mich herum

u. zielen genau auf meine Fresse u. lachen u. lachen

das Lachen derer, die, wie ich, nicht mehr von dieser Welt sind,

die aus einer Weite heraus, von einer Ferne her endlich

nach jemandem rufen

schreien

vor dessen Angesicht sie stets nur schweigen konnten.

Der König u. der Killer

der Killer u. der König

u. ich davor

ich Ai, der Schmerzenslaut,

ich Ai, der Roboter der Emotionen

ich Ai, des Telquel, des alten Wichsers Sohn

ich Ai, des Überall u. des Nie Ausgeburt,

ich sitze da, seht ihr,

ich sitze

u. König Sihanouk u. Pol Pot, der Schlächter, flüstern mir ins Ohr,

sie soufflieren mir

die lang ersehnten Worte

die zu lange aufgeschobene Mail

an dich

an dich mein Freund Ody

an dich meine Liebe Ody

mein Bruder

mein Herz

mein Spiegelbild

mein Mitbewohner im Spiegelkabinett

Sie insinuieren die blutigen Worte der Zuneigung

diesen Syphilisausfluss meiner Seele

meines Motors

meiner Schlaflosigkeit

meines Unentwegtseins

meiner Ausweglosigkeit

meiner Ungehörigkeit

Sie tanzen u. schwingen ihre Säbel u. hacken

Arme u. Beine von den Hängenden u. den Suizidalen

u. schreien u. singen

schreib

schreib endlich

schreib

ich habe dich geliebt

schreib

ich war elektrisiert

als du mit deinem Finger über meinen Rücken fuhrst

schreib

ich habe mich geborgen gefühlt

als du im Lager des Krieges im Nachtlager der Soldateska

neben mir lagst

u. wir uns in die Augen schauten u. sahen

keiner findet den Schlaf

schreib

ich habe deine nächtlichen Schreie als Koseworte verstanden

ich wusste zu gut

welche Schreie du in die Nacht flüstertest

dass sie aufflogen wie Krähen-

wie Fledermausschwärme

wie Eintagsfliegen, die ihre Liebesnester in meine Ohrmuschel bauten

schreib

schreib, Ai,

schreib deinen Namen,

schreib ihn als Zeichen eines Seufzers,

eines Liebesgestöhns

einer Zuneigung

eines Identitätsbeweises

eines Ich-wie-du

und Pol Pot u. König Sihanouk klopfen mir auf die Schulter

u. bohren mir die Spitzen ihrer Harlekinsschuhe in die Nieren

u. lecken mit ihren blaugefärbten Clownszungen über meine Brust

u. meine Finger zittern

u. ich tippe ihre Worte in die Tastatur

u. ich sehe dich vor mir

Freund Ody

sehe

wie du von mir gegangen bist

wie du dich abgewandt hast

wie ich dir nachrief

hau doch ab, du blöde Sau

du Drecksarsch

du feige Sau

du wirst des Chill-Outs Erbe nie sein, nie bekommen

mir

mirmirmir

als einzigem steht sein Erbe zu

steht es doppelt zu

da ich wie du bin

u. ich wie ich bin

u. ich bin wie er war

ich, Ai, des alten Wichser Sohn

ich, Ai, der ich den Huren die Titten vom Leib biss,

mir gehört das Erbe

hörst du, Ody,

hörst du Bruder,

Liebster,

mir steht es zu,

damit ich stolz bin u. schön

u. du mich endlich lieben wirst,

du wirst mich lieben,

Ody,

du musst mich lieben

du musst wieder das Lager mit mir teilen,

in meine Augen schauen u. deine Krähen- u. Fledermausschwärme

ausschicken, dass sie mir die Liebe aus dem Herzen hacken

u. ihre Schnäbel darin versenken

u. die Nacht mit den blutverschmierten Schnäbel anschreien

meinen Namen schreien

Ai

wie König Sihanouk jetzt meinen Namen schreit,

Ai,

wie Pol Pot jetzt meinen Namen schreit,

Ai

wie ich jetzt meinen Namen schreie

Ai

Seht ihr

Hört ihr

Ich sehe nichts.

Ich höre nichts.

Es verblasst.

Es hat es nicht getroffen.

Ich sitze hier.

Hier.

Nein.

Ich bin weg.

Hört ihr.

Seht ihr.

Ich bin weg.

Da.

Das Rauschen.

Der Regen fällt von unten nach oben

u. wieder von meiner Stirn, meiner Nasenspitze nach unten

mein Hemd klebt,

Blätter schlagen mir ins Gesicht

u. machen dabei dieses Geräusch

wie wenn Heuschrecken lachen

Hört ihr

Seht ihr

ich bin in Afrika

Da fällt der Sambesi in die Tiefe

ja

ich laufe entlang des Sambesis u. dort donnern die Viktoriafälle

in die Tiefe

u. da zwischen dem Grün liegt ein Fels

nass u. schön wie ein Venushügel

u. darauf sitzt einer,

der spricht mit sich

der schreit u. betet u. doziert

der steht u. hält den Arm gegen den Himmel

der steht u. hält beide Arme ausgebreitet gegen den Himmel

der steht u. hält die Arme verschränkt vor die Brust

u. ich komme u. setze mich dazu

setze mich im Schneidersitz mitten auf diesen Venushügelfelsen

das Tosen in den Ohren

das Hemd klebt an der Brust

u. der Mann

seht ihr

hört ihr

sagt

er sei Imitator von Beruf

er imitiere Hitler u. imitiere den Papst u. imitiere ein Wesen

namens Creativ Destruction, kurz CD genannt

u. er kenne mich

er habe mich gesehen

er habe viel Zeit

er sei arbeitslos

er kenne mich

er habe mich des Nachts im Hotel gehört

mein Atmen hätte seine Übungen zum Verstummen gebracht

u. doch habe er meinen Atem nicht fassen können

hätte er mich nicht imitieren können

er habe es versucht

aber er habe meine Stimme nicht finden können

es wäre nur ein Lautloses

ein Unhörbares rausgekommen

er habe die Worte sehen können

aber nicht hören

er habe die Worte spüren können

aber nicht aussprechen

er sei in jede Pore meines Atmens gedrungen

des Nachts

ich habe ihn nicht schlafen lassen

u. er habe mir den Hitler eingehaucht

aber es habe nichts genützt

ich hätte die Worte nicht schreien können

u. er habe mir den Papst eingeblasen

aber ich hätte die Worte nicht beten können

u. er habe mir CD ins Angesicht gepustet

aber es wäre nichts passiert

so sitzen wir jetzt beieinander

auf dem Felsen

tief unten in Afrika

u. ich öffne den Mund u. meine Lippen formen ihren Namen

aber er kann die Lippen nicht lesen

u. ich brülle ihren Namen

aber das Tosen der Wasser verschluckt ihn, bevor er sein Ohr erreicht u. er mich imitieren könnte u. an meiner statt ihren Namen sprechen könnte

u. ich ihn aus seinem Mund hören würde u. wüsste, ich habe ihn gesprochen

ich habe ihn ausgesprochen

sie ist es

sie ist diejenige, die ich will

die ich wollte

u. ich schlage mit meinen Fäusten ihren Namen auf seinen Schädel ein

u. schlage seinen Schädel auf den Felsen

im Rhythmus ihres Namens

aber er gibt mir kein Bild

er gibt mir kein Double

er lässt mich nicht der Vierte seiner Kunst sein

mich

Ai

imitiert er nicht

so sehr ich auch seinen Schädel auf den Felsen schlage

so sehr sein Hirn über den Fels spritzt u. der Regen,

der von unten kommt,

darin kleine Pfützen bildet

mit roten Schlieren drin

stumm bleibt er

schreit noch nicht einmal den Schmerzenlaut

schreit nicht

Ai

schreit nicht nach mir

hört ihr es nicht

seht ihr es nicht

lasst es nicht verblassen

lasst nicht zu

dass ich alleine auf diesem Felsen sitze

lasst es nicht zu

dass das kein Felsen ist, auf dem ich sitze

lasst es nicht zu

dass das kein Regen ist, der mir im Gesicht steht

lasst es nicht zu

dass es Schweiß ist

Angstschweiß

dass das alles nicht wahr sein könnte

dass das alles nicht treffen könnte

es wieder nicht treffen könnte

dass ich nicht ihren Namen in mir trüge

den Namen dieser beschissenen Sklavin

dieser Königstochter,

dieser hochnäsigen Sau,

die mich mit ihrer Liebe nervt

die mich kotzen lässt

die mich mit ihren verliebten Augen kastriert

mir die Eier nimmt

den Schwanz

das Herz

mich

meinen Namen

kein Ai

mehr

nein

kein Ai mehr

ich bin nicht da

ich bin nicht hier

bin weg

ich bin weg

hab’s nicht getan

ich habe es nicht getan

da

seht ihr

seht ihr mich

den alten Ai

er sitzt in einem bretonischen Strandcafé

die Wellen schlagen an die Steilküste

mit mir am Tisch sitzen Mungo Park

jawohl

und Livingston

jawohl

auch sie haben die Schnauze voll von Afrika

auch sie kamen

wie ich

hierher

wir sind Brüder im Geiste

wir sind Welterfahrene

nicht wie Ody die Sau

nicht wie die Sklavenhure

u. sie legen mir ihre Schrumpfkopfsammlung vor

u. ich schaue mir die Köpfe an

u. sie schauen alle aus wie ich

jawohl

diese beiden haben immer nur mich gesucht

u. sie haben mich in den Dschungeln u. den Wüsten

in den Ruinen u. auf den Schlachtfeldern

in den Ritualen u. in den Dorfhütten

gefunden

jawohl

u. sie haben mir jedes Mal den Kopf abgeschnitten

u. sie haben meinen Kopf ausgehöhlt

u. sie haben die Haut meines Kopfes über das Model gezogen

u. sie haben meinem Kopf wieder Form gegeben

sie haben meinen Kopf in Form gebracht

dass ich sagen muss

ich gleiche ihm u. nicht er mir

jawohl

seht ihr

da liege ich auf dem Tisch

u. die beiden sind stolz auf mich

u. sie lachen u. sagen

ich könne stolz auf mich sein

überall sei ich gewesen

überall habe ich meinen Kopf hingehalten

überall habe ich meinen Kopf in göttlicher Ekstase verloren

ich könne mich lieben

ich solle mich lieben

sie liebten mich

mich

Ai

den Kopflosen

Ai

den mit den vielen Köpfen

Ai

den, der seinen Köpfen gleiche

Ai

den mit den vielen Beweisen seiner Identität,

das sagen sie u. essen dabei einen Crêpe

und trinken Cidre

u. singen ein bretonisches Lied

hört ihr es

ich kenne es

ich kann es auch singen

ich werde es für euch singen

weg mit der Kulisse

weg mit den beiden

weg mit dem Meer

ich werde es für euch singen

jetzt

(nimmt ein Schwein)

ich werde es für euch singen

mein Lied

mein

AiAiAi

(Stille)

Habt ihr es gehört.

Diesmal hat es das aber getroffen.

Diesmal war es das aber.

Sag ja.

Sag verdammt noch mal ja.

Ich höre.

Hopp.

Ich will jetzt was hören.

Sag es

du dumme Sau,

sag,

dass du mich lieb hast,

sorry

lieb gehabt hast

sag es,

Schweinebacke,

sag es schon

(Stille)

Langsamer Einzug des Lichtes.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen